Es bestehen unterschiedliche Verständnisse von transdisziplinärer Forschung (Lawrence et al. 2022). TDR4HAW hat eine Arbeitsdefinition im Projektkontext entwickelt, die transdisziplinäre Forschung in den spezifischen Kontext von Hochschulen für Angewandte Wissenschaften einordnet.
Transdisziplinäre Forschung ist ein Modus, in dem sich Forschung vollzieht. Ihn charakterisiert, dass sein Ausgangspunkt in der Lösung gesellschaftlicher/ realweltlicher Probleme besteht (Lang et.al. 2012, p. 27). Dies hat die transdisziplinäre Forschung mit der angewandten Forschung gemeinsam (Wissenschaftsrat 2020).
Ein weiteres Charakteristikum der transdisziplinären Forschung besteht darin, in den Lösungsweg (also den Forschungsprozess) die Expertise von Angehörigen der Wissenschaft – teils aus verschiedenen Fachgebieten – sowie von Akteur*innen außerhalb des Wissenschaftssystems einzubeziehen. Aus der Perspektive der Wissensentwicklung charakterisiert den Modus der transdisziplinären Forschung, dass er auf der Integration wissenschaftlichen Wissens und praktischem Erfahrungswissen basiert. (Einheit des Wissens) (Jahn, Bergmann & Keil, 2012, S. 4; Lawrence et.al. 2022, S. 47).
Aus der Perspektive der Akteur*innen charakterisiert den Modus der transdisziplinären Forschung, dass außerwissenschaftliche Akteur*innen in das Forschungshandeln einbezogen sind (Gesellschaftliche Beteiligung [social engagement]) (Jahn, Bergmann & Keil, 2012, S. 4; Lawrence et.al. 2022, S. 47).
Die Praxis transdisziplinärer Forschung kennzeichnet, dass sie reflexiv ist und Raum für Lernprozesse der Beteiligten lässt (Jahn, Bergmann & Keil, 2012, S. 3). Dies ist notwendig, um durch die Aushandlung der Ziele, Interessen und Systemzwänge der unterschiedlichen Beteiligten einen produktiven Modus der Zusammenarbeit zu finden und um durch die unterschiedlichen Wissens- und Erfahrungsbereiche antizipieren und integrieren zu können.
Mit ihrem wissensintegrierenden und partizipierenden Anspruch spezifiziert die transdisziplinäre Forschung Verfahrensweisen, mit denen sie den realweltlichen Bezug sicherstellt. Bezogen auf diese beiden Charakteristika könnte sie als Teilmenge der angewandten Forschung betrachtet werden: also verstanden werden als angewandte Forschung, die ihren realweltlichen Bezug durch Wissensintegration und Partizipation umsetzt. Die TDR ist jedoch nicht grundsätzlich als Teilmenge der angewandten Forschung zu betrachten: So muss das aus der Auseinandersetzung mit dem realweltlichen Problem im transdisziplinären Forschungsprozess entwickelte Wissen nicht zwingend angewandtes Wissen sein. Es kann Grundlagenwissen sein, z.B. im Sinne der Theoriebildung, der methodologischen Weiterentwicklung oder im Sinne des Metawissens über den Modus der transdisziplinären Wissensproduktion (Prozesswissen – vgl. Laursen et al 2024; Lawrence et al 2022)
Gemeinwohlorientierung ist durch den realweltlichen Bezug der transdisziplinären Forschung häufig gegeben. Sie ist jedoch kein distinktes Charakteristikum transdisziplinärer Forschung. Anders, als teilweise in der TDR-Literatur nahegelegt (vgl. Pohl und Hirsch 2006, S. 30), unterscheidet sich die transdisziplinäre Forschung nicht durch einen umfassenderen ethischen Anspruch gegenüber ihrem Forschungsgegenstand bzw. ihrer Gemeinwohlorientierung, da beides grundsätzlich als Anspruch von Forschung betrachtet werden kann (vgl. exemplarisch BbgHG §3, Abs. 3).
Quellen:
Brandenburgisches Hochschulgesetz (BbgHG). 2024. Gesetz über die Hochschulen des Landes Brandenburg. Vom 9. April 2024 (GVBl. I/24 [Nr. 12]), geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 21. Juni 2024 (GVBl. I/24 [Nr. 30], S. 32). Abschnitt 3: Aufgaben. https://bravors.brandenburg.de/gesetze/bbghg#3 (08.09.2025)
Jahn, T.; Bergmann, M. Keil, F. (2012) Transdisciplinarity: Between mainstreaming and marginalization. Ecological Economics 79 (2012) 1–10, https://doi.org/10.1016/j.ecolecon.2012.04.017
Lang, D. J., Wiek, A., Bergmann, M., Stauffacher, M., Martens, P., Moll, P., Swilling, M., & Thomas, C. J. (2012). Transdisciplinary research in sustainability science: Practice, principles, and challenges. Sustainability Science, 7(Supplement 1), 25–43. https://doi.org/10.1007/s11625-011-0149-x
Laursen, B., Vienni-Baptista, B., Bammer, G. et al. Toolkitting: an unrecognized form of expertise for overcoming fragmentation in inter- and transdisciplinarity. Humanit Soc Sci Commun 11, 857 (2024). https://doi.org/10.1057/s41599-024-03279-9
Lawrence et al (2022) Characteristics, potentials, and challenges of transdisciplinary research. One Earth 5, January 21, 2022. S. 44-61 https://doi.org/10.1016/j.oneear.2021.12.010
Pohl und Hirsch (2006) Gestaltungsprinzipien für die transdisziplinäre Forschung. Ein Beitrag des td-net. München: oekom verlag, Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH. https://doi.org/10.14512/9783962388621
Diesen Beitrag zitieren: Michel, A.; Michelini, G.; Awad, L.; Nölting, B.; Ulrich, S.; Roessler, I.; Hachmeister, D. (2025) Transdisziplinäre Forschung an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften: Eine Projektdefinition. Online: https://tdr4haw.fh-potsdam.de/aktuelles/transdisziplinaere-forschung-an-hochschulen-fuer-angewandte-wissenschaften-eine-projektdefinition/